Skandinavien 2021

Skandinavien 2021

Teil 1: Wohin geht die Reise?

Nachts in der Ringbahn , irgendwo zwischen Westend und Jungfernheide, auf dem Weg zur Arbeit, hatte ich diesen Gedanken zum ersten Mal: „Ich mache mal eine größere Fahrradtour, z. B. die North Sea Cycle Route. Spätestens wenn ich 30 bin.“ Damals war ich 27 und ich dachte, ich werde ganz bestimmt jemanden kennenlernen, der mindestens genauso gerne Rad fährt wie ich. Und dieser jemand wird mir dann den Vorschlag einer großen Radtour unterbreiten und ich werde begeistert zustimmen. Im Jahr 2019 – ich war inzwischen 34 Jahre alt – hatte mich immer noch niemand zu einer Radreise eingeladen und mit einem Mal begriff ich, dass ich noch bis zum Sankt-Nimmerleinstag warten konnte, oder den Entschluss fassen musste, mich alleine auf den Weg zu machen.

Durch die Corona-Pandemie verschob sich die Tour um ein weiteres Jahr, doch 2021 – auch noch mitten in der Pandemie, aber nach den ersten Impfungen – habe ich mich schließlich auf den Weg gemacht. Den ursprünglichen Plan, die North Sea Cycle Route zu fahren, hatte ich leider verworfen, denn die Fährverbindung zwischen den Shetland Inseln und Bergen in Norwegen wurde 2015 eingestellt und fliegen wollte ich nicht. Überhaupt war unsicher, ob ich nach Norwegen würde einreisen können, denn als ich Ende Juni 2021 losfuhr, waren die Grenzen für Touristen noch geschlossen, obwohl die Option der baldigen Öffnung in der Luft lag.

Am Montag, dem 28. Juni 2021, verabschiedet mich Rocky in meiner Wohnung. Bei einem gemeinsamen Frühstück verspeisen wir die letzten Vorräte aus meinem Kühlschrank und dann breche ich wirklich auf. Das Ziel ist ungewiss und weit entfernt, aber daran denke ich auch noch gar nicht. Ich fahre einfach los, wie zu irgendeiner x-beliebigen Wochenendradtour. Im ca. 25 Kilometer entfernten Gutenpaaren besuche ich noch kurz Freunde und lerne deren Familienzuwachs kennen. Der einzige Unterschied: Ich fahre anschließend nicht zurück nach Hause, sondern weiter nach Nordwesten. In Bahnitz mache ich eine kurze Pause vor dem Fuchsbau. Hier waren wir schon so oft zum Orchesterwochenende und ich habe aus dem Fenster schauend immer die Radfahrer beneidet, die mit Gepäck am Rad offenbar auf dem Radfernweg unterwegs waren. Nun bin ich auf der anderen Seite und selbst einer von ihnen. Es ist alles noch sehr vertraut und ich befinde mich auf dem Weg vom Bekannten zum Unbekannten. Mein Ziel Norwegen laut auszusprechen traue ich mich aber noch nicht. Als mich zwei Frauen unterwegs fragen, wohin mich die Reise mit meinem voll bepackten Rad denn führt, antworte ich vage: „Wenn es gut läuft bis nach Schweden.“ Die beiden nicken beeindruckt und ich denke mir: „Zum Glück habe ich nicht Norwegen gesagt. Das ist ja noch weiter und das glauben die mir eh nicht“ – und ich mir am allerwenigsten.

Abends auf dem Campingplatz bin ich unglaublich hungrig, weil ich keine längere Mittagspause gemacht habe. Ich verstehe wirklich nicht, wie einige Radreisende oder Wanderer mit 2 Riegeln und einer Handvoll Nüssen über den Tag kommen. Da wäre bei mir spätestens ab 15 Uhr aber richtig schlechte Laune angesagt. Und das Blöde ist ja: Wenn man mit sich alleine unterwegs ist, weiß man auch ganz genau, wer die schlechte Laune dann abbekommt!

Also Memo an mich selbst: In Zukunft auf ausreichende Pausen inkl. Versorgung achten.

Am nächsten Morgen bin ich von den RadlerInnen die letzte, die sich auf den Weg macht, aber man sieht sich ja sowieso immer mehrmals. In diesem Fall in einem kleinen Lädchen in Schollene, anscheinend der einzigen Einkaufsmöglichkeit weit und breit. Auch ein Campingplatz für heute Abend ist nicht in Sicht und so mache ich erste gute Erfahrungen mit der Plattform 1NiteTent, bei der Leute ein Plätzchen im Garten für Reisende mit Zelt oder Van anbieten. Ich habe Glück, denn die Besitzer des Gartens sind nur am Wochenende dort, jedoch hat im Dorf jemand anderes einen Schlüssel, lässt mich auf das Grundstück und ich darf direkt unter einem Storchennest mein Zelt aufbauen. Auch eine Toilette und fließend (kaltes) Wasser sind vorhanden, also alles, was ich so brauche. Wobei: Fließendes Wasser werde ich am nächsten Tag noch mehr haben, als mir lieb ist…